Hier ein Bericht vom 1. Mannschaftskampf unserer 1 aus der Sicht vom SK Gernsheim:

Am 1. Spieltag der Hessenliga 15/16 schlägt die Erste den Vorjahreszweiten vom SC Bad Nauheim überraschend ungefährdet mit 5-3

Natürlich kann jeder jeden schlagen in der Hessenliga. Und natürlich haben wir an allen Brettern Leute (inkl. Ersatzspieler) zwischen rund 2000 und 2200 Wertungszahl. Das ist eine enorme Breite von der viele andere Vereine nur Träumen können. Und trotzdem war nicht zu erwarten, dass wir die Bad Nauheimer derart….nun ja…in Schach halten würden. Immerhin sind die quasi mit der gleichen Mannschaft nur durch etwas Pech letztes Jahr nicht in die Oberliga aufgestiegen. Allerdings haben sie die Jahre davor auch regelmäßig gegen den Abstieg gespielt, was wiederum ein Beleg für den Einleitungssatz ist. Doch genug der Vorrede, will nur sagen, dass wir ein 4-4 wahrscheinlich vorher gerne unterschrieben hätten.

Beide Mannschaften traten leicht ersatzgeschwächt an, bei uns fehlten Emery und Ingo urlaubs- und verletzungsbedingt. Von der Bank kam wie gehabt adäquater Ersatz in Form von Martin N. und Jens.

Eben jener hatte an Brett 8 die größte Underdog-Rolle was Ratingdifferenz anging. Allerdings hatten wir beim Gegner sowohl die Farbe (darf nur Schwarz nehmen in Ermangelung eines Weißrepertoires, das nicht viel größer ist, als das er mal gehört hat, dass man den Königsbauern am Anfang zwei vorziehen kann – oh man, hoffentlich liest der Jochen das hier nicht!) als auch die Eröffnung haargenau vorausgesehen (okay, war nicht schwer). Also wurde ein angenehm passiver Philidor mit schwachem Bauern d6 und Raumvorteil für Weiß diskutiert. Schwarz war in dieser Struktur sehr zu Hause, aber auch Jens kannte das ganze zumindest aus diversen Blitzduellen mit Uwe, so dass sich hier ein offenes Duell abzeichnete.

An Brett 7 spielte Martin eine solide Eröffnung und…STOP! Du sollst nicht lügen. Also, Martin spielte wie immer undurchsichtiges Zeug. Nach zwei Zügen waren im Königsgambit die meisten der drei Zuschauer aus der Theorie und nach weiteren 8 Zügen brannte das Brett lichterloh. Wie gesagt, dafür braucht man immer zwei Gegner am Brett, aber wer sich hier wohler fühlte, war zumindest den Gernsheimern klar, denen Martin kurz nach der Eröffnung erklärte, dass er ja „eine bescheidene Quote gegen das Königsgambit“ habe. Die älteren Gernsheimer erinnerten sich nur zu gut, konnten Martin aber nicht mehr in den Hintern treten, da er bereits wieder am Brett saß. Unklar bis `reden wir nicht drüber`.

Reden dürfte man über unsere Stellung an Brett 6, denn Uwe, selbst 5 Jahre lang für Bad Nauheim aktiv, begegnete dem ehemaligen Bad Nauheimer Spitzenbrett, der im allgemeinen immer sehr gut vorbereitet zum Spieltag anreist. Da er nicht unbedingt mit Uwe als Gegner rechnen durfte, hatten wir möglicherweise minimalen Startvorteil. Und wie man erwarten würde, wenn zwei Leute mit extravagantem Repertoire aufeinander treffen, kam es dann in der Tat zum eher seltenen 1.g3 – Sc6. Uwe nahm wie immer Raumnachteil dankend in Kauf, stellte seine Figuren auf bisweilen unnatürliche Felder und versuchte sich auf Raumgewinn am Damenflügel während der Gegner wohl im Zentrum Aktivität suchen würde. Auch hier war alles drin.

Unglaubliches tat sich bereits früh an Brett 5. Im Wolga-Gambit hatte Frank W. zwar wie geplant früh aktives Figurenspiel und Druck am Damenflügel bekommen, doch wer die Bauern neben dem Brett genau mitgezählt hatte (spoiler alert: 2-1), dem blieb nicht verborgen, dass Schwarz halt bei allem Spiel immer auch dem Material hinterher rennen muss. Die gute Nachricht aus Gernsheimer Sicht war, dass Frank nicht rennen musste (trotz sportlicher Kurzhaarfrisur). Der ansonsten starke Gegner (Patrick W.) stellte einen Springer nach d4. An sich ein schöner Zentralisierungszug. Wenn da nicht der Läufer auf g7 gewesen wäre, der sein einzügiges Glück kaum fassen konnte und dankbar zubiss. Das Eins-null war also nur noch eine Frage der Zeit. Juhuu! Hab mit Patrick hinterher nicht gesprochen, was los war, aber ich denke es war ein normaler Einsteller wie sie u.a. dem Autor dieser Zeilen öfter passiert sind als es Grashalme auf der Prärie gibt. Trotzdem schön für uns.

Ähnlich komplex wie an Brett 7 ging es an Brett 4 zu. Zwei ausgewiesene Taktiker gingen hier zu Werke und ich würde gerne schreiben, was in etwa los war, geht aber nicht. Die Verweildauer meines Blickes auf dem Brett verhielt sich nämlich umgekehrt proportional zu meinem Stellungsverständnis. (Cola für den, der das beim ersten Mal lesen verstanden hat – hehehe). Auf Gernsheimer Seite spielte übrigens erstmals unser Neuzugang Robert und man war natürlich doppelt gespannt auf seinen Auftritt. Aus einem Dameninder entstand eine Struktur in der Robert mit einem d4-Isolani versuchte, Klötze auf e5 und c5 zu stabilisieren, um daraufhin möglicherweise gegen den Bad Nauheimer Monarchen vorzugehen zu können. Auf der anderen Seite versuchte Schwarz am Damenflügel mittels b5-b4 aktiv zu werden, und schwups tauchte in der Tat ein in schwarz gekleideter Hüpfer auf c3 auf. War der stark oder schwach? Die nächsten Züge würden es zeigen.

Brett 3 sah ruhiges Doppelfianchetto von Weiß sowie einen ebenso gewohnt soliden Frank R. der sich das zunächst in Ruhe ansah. Später entstand dann eine Struktur mit isoliertem weißen Freimops auf d5, der allerdings noch jede Menge schwarze Figuren vor sich hatte. Sollte dieser Bauer wirklich verloren gehen wäre die ganze Geschichte möglicherweise schneller zu Ende als gedacht, zumal wir in der Tat Zeitvorteil hatten.

Auch bei Peter N. passte an Brett 2 die Vorbereitung und es kam zu einer Nebenvariante im Sizi, die den vielleicht stärksten Bad Nauheimer enorm viel Zeit kostete. Peter konnte wie gehabt alles auf den gegnerischen König werfen, was da war. Na gut, soviel Zeug war es erstmal nicht, denn der weiße Ld3 versperrte bei weisem Bauern auf d2 dummerweise den halben Damenflügel. Und als ich noch dachte, dass Peter jetzt bestimmt gleich mal was investiert, da…stand die Qualle auch schon neben dem Brett. Zielsicher erkannte ich, dass die Partie bald vorbei sein musste, so oder so.

An Brett 1 kam Maxi mit Schwarz in eine Colle-Struktur, in der sehr schnell auf b6 die Damen vom Brett fielen. Das praktische daran ist ja immer, dass man als Schwarzer nicht mehr groß herumraten muss, auf welcher Seite des Tisches man spielen muss. Entsprechend fingen die b- und c-Bauern an zu rollen und in haltbarerer aber vielleicht bereits leicht schlechterer Stellung bot Weiß Remis an. Aufgrund des bereits deutlich reduzierten Materials (Motto: `was nicht mehr auf dem Brett steht, kann auch nicht mehr eingestellt werden`) und der eher unklaren Lage an den anderen Brettern spielte Maxi nach kurzer Bedenkzeit natürlich weiter.

Das Eins-null fiel an Vier. Robert hatte irgendwie (nein, fragt mich net) Dame nach e6 und Springer nach f7 bekommen. Jetzt drohten allerhand eklige Sachen gegen den Kg8 aus denen sich Schwarz nicht mehr befreien konnte. 1-0 gegen einen der besten Bad Nauheimer, der insbesondere taktisch normalerweise voll auf Ballhöhe ist. Sauber, Robert. 1-0.

Beim nächsten Blick auf Brett 8 hatte ich schon ein deutlich schlechteres Gefühl. Nicht nur dass der fiese Gegner das Remis von Jens abgelehnt hatte, nein, mittlerweile hatte Schwarz auch alles erreicht, was er wollte: Damen auf b6 vom Brett geflogen (a-Linie damit offen, wo bereits bzw. immer noch ein schwarzer Turm stand, den Schwarz vorher wohlweislich nicht entwickelt hatte), Springer auf e5 deponiert, der vom schönen Läufer g3 ab getauscht werden musste (somit d6 Krücke weg) und die bessere Leichtfigur, da sich jetzt die Bauern auf e4 und e5 gegenüber standen, was den weißen Lf3 tendenziell nervte. Trotzdem hielt Jens stark dagegen und das Remis fest. So konnte es weitergehen. 1,5-0,5 gegen 17.30h.

Und so ging es weiter. An Brett 7 hatten es beide Kontrahenten mittlerweile geschafft auch den letzten schützenden Bauern vom eigenen König möglichst weit weg zu ziehen oder aber gleich neben das Brett zu stellen. Nach zehn Zügen hatte Martin erst eine halbe Figur entwickelt (Lg7, der die weiße Bauernkette d4-e5 unbedrohlich anstarrte) und die meisten gaben keinen Pfifferling mehr für Martins Stellung. Aber bei aller Depression darüber konnte man leicht übersehen, dass auch dieser endlich einige Figuren zentralisiert hatte. In unklarer Stellung (der Gegner hatte mittlerweile eine Figur geopfert) sah Martin einen schlauen Gegenschlag, der weiteres Material gewann und somit sogar die Partie. Auf meinem Notizzettel steht `Überleben will gelernt sein` – sehr richtig! 2,5-0,5.

An Brett 2 lag ich natürlich mit meiner Einschätzung raketenmäßig daneben. Die Partie dauerte noch lange und eine klare Entscheidung fiel genauso wenig. Peter schaffte mit seinem f-Bauern den Durchmarsch nach f6, was bei der schwarzen Fianchetto-Struktur mit Bauern auf f7-g6-h7 sowie Kg8 und Tf8 den eher ekligen Zug Lg7-h8 nötig machte. (Anm.: erfahrene 1.g3 Spieler müssen dieses Manöver übrigens in jeder dritten Partie machen – man gewöhnt sich dran und man muss auch nie groß überlegen, wo der Läufer hin muss). Jetzt also nur noch `nen Springer von h4 via f5 nach h6 bringen und aus die Maus weil Matt. So einfach wars aber nicht, Peter steckte weiteres Material ins Geschäft und trieb den König auf den Damenflügel. Hätte Houdini die Lage an Brett 4 und 7 wohl noch grade soeben überblickt (wenn auch wohl nur mit starken Rauchzeichen), wäre er hier sicher komplett abgestürzt. Vorher hätte er wohl noch #REF! gezeigt. Selber fast auf Matt stehend und mit gehörigem Materialnachteil musste Peter ins Dauerschach abwickeln. 3-1.

An Eins ging alles seinen erwarteten Gang. Nach der Übernahme der Initiative, dem Ausbau des Raumvorteils am Damenflügel öffnete Maxi geschickt Linien am Königsflügel, während die weißen Figuren (Lb1, Tc1, Ba2) mit eher mittlerer Aktivität im Eck standen. Irgendwann fiel der erste Bauer und kurz darauf kollabierte Weiß. Maxi kann halt nicht nur stupides Haudrauf. 4-1.

Frank W. hatte derweil ungenau fortgesetzt und musste sogar nach tendenziell nicht allzu schwieriger Kombi seinen Materialvorteil wieder hergeben. Sichtlich genervt landete er sogar mit passiver Stellung in einem schlechteren Endspiel. Beweise? Frank spielte mit Ta8, Sb8 und Lc8 den guten Entwicklungszug Sb8-d7. Allerdings bei Zug Nummer 28 und nicht etwa Zug 2 oder 3. Weiß gewann einen Bauern, aber in einer Partie in der jeder mindestens einmal klar auf Gewinn stand konnte Weiß den freien d-Bauern im Duell Dame + Läufer + 3 gegen 3 am Königsflügel nicht ins Ziel retten. Remis und damit Sieg für uns gegen 18:45h. Lieber Herr ChessBase Partien-Eingeber, beide Gegner wären froh, falls die Partieformulare irgendwie aus Versehen verloren gehen sollten, wenn Sie verstehen, was ich meine. Lässt sich da was machen? Hehe. 4,5-1,5.

`Frank R. halt` steht auf meinem Fresszettel und ich glaube, dass beschreibt den Partieverlauf ganz gut an Brett 3. Ich bin jetzt gar nicht sicher, ob der d5 oder ein anderer weißer Bauer verloren ging, aber Fakt war, dass Frank sehr bald einen Punkt mehr hatte. Dafür war der bis dato schön akkumulierter Zeitvorteil dahin. Die Kontrahenten landeten im Turmendspiel mit 4-3 an einem Flügel. Kennt den folgenden Spruch eigentlich noch jemand außer mir? Ich hab mal gehört: `Im Turmendspiel bei Bauern auf einem Flügel und ohne ersichtliche Bauernschwäche sind 4 gegen 3 schwer Remis, 3 gegen 2 leicht Remis und 2 gegen 1 spielen nur Anfänger`. Das ist natürlich zu dogmatisch (aber leicht zu behalten, ich war etwa zehn als ich den gehört hab…) und Frank hatte natürlich Recht, das notwendige Philidor-Wissen abzufragen. Der Gegner war natürlich seine Zweieinsfuffzich Wert und kannte das ganze. Folglich schüttelten sich beide die Remis-Hände. 5-2.

Uwe konnte seine Stellung graduell immer weiter ausbauen, gewann nach kleiner Kombi Figur gegen Bauer und wartete nur noch auf die Aufgabe des Gegners. Die einzige Hoffnung für Schwarz bestand in den zwei Zentralbauern auf d4 und e5, aber die waren sicher blockiert. Im Nachhinein nicht nachvollziehbar, aber Uwe schaffte es doch noch die Stellung (W: Kf2, Tb2, Le4, Bh4, g3, a2; S: Kd6, Ta3, Ba5, d4, e5, g7) zu verlieren. Ein einfacher Gewinnweg bestand im Losrennen mit der Bauernmajorität am Königsflügel. Es fällt bereits schwer, Züge für Schwarz zu finden nach z.B. h4-h5, Le4-f5 (um Th3 zu verhindern) und nach g3-g4 gibt Schwarz wohl auf. Stattdessen kam Uwe auf die Idee den blendend stehenden Läufer nach b3 umzugruppieren, was nach einigen weiteren Ungenauigkeiten nicht mal mehr zum Remis reichte. Aua. Ein Glück ist es ja in Gernsheim so, dass man bei Partieverlust sofort von den Kameraden aufgebaut wird – so auch diesmal (`Hey Uwe, rate mal wie viele Gernsheimer heute verloren haben – höhöhö!`). 5-3.

Großen Dank übrigens an Anne, die mir für diesen Bericht wertvolle Notizen auf einem Mao-Zettel (kleiner Gernsheimer Insiderwitz) hinterlassen hat.

SK 1980 Gernsheim I 5 3 SC Bad Nauheim I
Müller, Maximilian 1 0 Fromme, Ernst
Nies, Peter 0,5 0,5 Will, Dominik
Rosenberger, Frank 0,5 0,5 Bollmann, Henrik
Mazurek, Robert 1 0 Kaliski, Erwin
Wenner, Frank 0,5 0,5 Will, Patrick
Schupp, Uwe 0 1 Reinert, Stephane
Neumann, Martin 1 0 Handstein, Arthur
Will, Jens 0,5 0,5 Rothenbacher, Jochen

Anfang November gehts in Gelnhausen weiter. Für die geht es nach Klatsche in Runde 1 schon um deutlich mehr. Wir dagegen können da schon deutlich lockerer hinfahren. Man sieht sich.