Die hier besprochenen Bücher tarnen sich in der Öffentlichkeit als Eröffnungsbuch bzw. als Partiesammlung über einen Spieler. In Wahrheit hat mir Schachversand Niggemann Strategielehrbücher zur Bewertung geschickt. Beginnen möchte ich mit einer im wahrsten Sinne „ernsthaften“ Empfehlung:

MM-PetrosianDer skeptische Blick ist nicht gerechtfertigt.

Petrosian move by move von Thomas Engqvist

Der schwedische IM Thomas Engqvist gehört als Spieler nicht zur Spitze unserer Zunft. Üblicherweise sind neue Erkenntnisse oder Neubewertungen von internationalen Meistern nicht zu erwarten. Warum wollte Everyman Chess dann eine Partiensammlung über den früheren Weltmeister Tigran Petrosian ausgerechnet von ihm? Er ist laut Vorwort seit über 30 Jahren Schachtrainer und Autor. Das merkt man mit der Zeit. Bei der lockeren Lektüre sind mir mehrere Dinge aufgefallen:

–          Engqvist schreibt in flüssigem Englisch. Nicht trocken, nicht besonders amüsant, in schönem, sachlichem Stil.

–          Der Leser wird immer wieder mit mehr oder weniger kleinen Übungen konfrontiert. Und die sind nicht ohne: Nebenbei löst man diese Aufgaben nicht. Der fortgeschrittene Spieler – soll in diesem Fall heißen ab einem Rating von ca. 1900 – hat daran tatsächlich richtig zu knabbern und kann das Buch also als Trainingsbuch für ernsthafte Stunden verwenden.

–          Die Kommentare helfen nur bedingt, Petrosians besonderen Stil zu verstehen oder zumindest nachzuverfolgen. Da hätte ich mehr erwartet als gelegentliche Hinweise auf Petrosians berühmten prophylaktischen Stil, der wohl auf Nimzowitschs Lehren und der Hand eines früheren Trainers beruht. So fühlt sich das Buch eher an wie eine Partiensammlung mit starken Partien als eine „Schachographie“ speziell über Petrosian. Das merkt man dafür daran, dass Engqvist zwischen den Partien über die jeweilige private und schachliche Entwicklung von Petrosian informiert.

–          Bei oberflächlichem Lesen ist das Buch nur mäßig interessant. Zwischenzeitlich wollte ich das Buch schon abhaken, zumal Engqvist meine Erfahrung bestätigte, dass IM´s das Schachspiel nur sehr selten weiterbringen. Doch dann fiel mir auf, dass

–          Engqvist jede Menge nützliche Lehrsätze liefert. Dabei merkt man, dass er wirklich viel gelesen hat. Er zitiert Philidor, Botvinnik, Nimzowitsch, Levenfish (auch Löwenfisch genannt) und noch jede Menge anderer großer Spieler, während die Partien am Leser vorüberziehen. Bei genauem Studium des Buches nimmt man also wirklich Einiges für die eigenen Partien mit. Hier bekommt man ein Gespür dafür, dass Engqvist schon lange als Trainer arbeitet.

Fazit: Als leichte Lektüre wird das Buch mit der Zeit langweilig und zum Verstehen der Magie Petrosian´s Spielanlage nicht erhellend genug. Als strategisches Lehrbuch wird dieses Buch für Schüler ab 1500 vermutlich in meine Sammlung aufgenommen werden. Zum Selbststudium sollte man nach meiner Einschätzung etwas stärker sein. Wer ernsthaft trainieren will, kauft hier ein gutes Buch. Jeder prüfe für sich, ob er der passende Leser / sie die passende Leserin ist.

Das zweite Buch ist noch besser getarnt, nämlich als Eröffnungsbuch:

The-Trompowsky-Attack

The Trompowsky Attack move by move von Cyrus Lakdawala

Cyrus Lakdawala ist ein sogenannter Vielschreiber – innerhalb kürzerer Zeit begegnete mir nach Slawisch und Aljechin schon sein drittes Eröffnungsbuch.

In der Einführung erläutert er sehr gut, für wen der „Tromp“ die passende Eröffnung ist. Die Kurzfassung: Für den kreativen Spieler, der gerne Abwechlsung hat und Eröffnungen lieber spielt und versteht als „lernt“. Der Tromp kann zu den verschiedensten Stellungsbildern führen, von unterschiedlichstem sizilianisch über französisch und Damengambit zu königsindisch, altindisch oder Aljechin und was sonst noch so an Eröffnungen gespielt wird.

Aus eigener Tromp-Erfahrung weiß ich gut, dass man meist asymmetrische Strukturen bekommt, die zwar anderen Eröffnungen ähnlich sehen, aber eben nur ähnlich und nicht gleich sind.

Aus diesem Grund ist es auch praktisch unmöglich, eine gute Gliederung und Übersicht für den Tromp in ein Eröffnungsbuch zu bekommen. das belegen die zahlreichen Tromp-Bücher, die ich bereits habe. Entweder lässt man einiges weg oder man bleibt oberflächlich bzw. beschränkt sich mehr oder weniger darauf, Nachschlagewerk zu sein. Lakdawala schafft leider die Kombination beider Schwächen. In zahlreichen Varianten liefert er nur die Züge und eine kurze Bewertung, erklärt jedoch nicht die den Zügen zugrunde liegenden Pläne, die gebraucht werden, um die Züge zu verstehen. Noch dazu nutzt er viele seiner eigenen Partien (was noch nicht schlimm sein muss) aus Blitz- oder Schnellturnieren gegen mitunter nicht hochklassige Gegner oder von anderen wie z. B. Simultanpartien von Kasparov, der beim Simultan immer ein Maximalrating von 2000 vorschreibt. Dadurch finden sich naturgemäß schon früh (soll heißen meist in den Zügen 6 bis 12) schlechte Züge in den Varianten, die den eröffnungstheoretischen Nutzen der weiteren Partie meist auf Null reduzieren. Dadurch bekommt man als Leser nur selten einen guten Eindruck von den hochwertigen Varianten beider Seiten.

Es ist als Nachschlagewerk daher nicht geeignet und auch als Grundlage für eine intensives Studium dieser Eröffnung ist es nur bedingt brauchbar. Als Eröffnungsbuch ist es daher nur sehr bedingt empfehlenswert.

Aber halt! Dieses Buch hat andere, sehr positive Vorteile!

– Lakdawala schreibt beinahe so unterhaltsam-amüsant wie immer – und das kann er gut – was dazu führt, dass man gerne weiterliest und damit die Lernzeit und den Wohlfühlfaktor dabei erhöht. Ein gerne unterschätzter Aspekt von Schachbüchern.

– Lakdawala nutzt die Frage-und-Antwort-Methode dieser Buchreihe dieses Mal exzellent. Dort, wo sich eine gute Frage oder Aufgabe anbietet, setzt er eine gute Frage oder Aufgabe hin. Damit kann man es durchaus als Trainingsbuch verwenden.

– Dieses Buch enthält zahlreiche Schach-“Prinzipien“ wie „Wenn Du Entwicklungsvorsprung hast, öffne die Stellung“. Dieses Beispiel ist zwar ein sehr bekanntes und eher „billig“, das Buch hat aber einige „Prinzipien“ und auch anspruchsvollere bzw. nicht ganz so bekannte. Auch, wenn man viele dieser Prinzipien schon mal gelesen, gehört, angewendet oder manche sogar in konkreten Partien widerlegt hat, so bietet es doch für unterschiedlichste Strukturen – siehe oben – leicht zu verstehende Vorschläge/abstrakte Ideen/Hinweise, wie man passende Pläne findet. Hierfür ist der Tromp als Eröffnung geradezu ideal, weil sich ja die unterschiedlichsten Strukturen ergeben können. Und Lakdawala hilft mit diesem Buch und seinen Prinzipien an der richtigen Stelle, die spielerischen Sinne zu schärfen, die richtige Frage zur richtigen Zeit zu stellen, unabhängig von der Eröffnung.

Als Eröffnungsbuch kann ich dieses Werk nicht empfehlen. Als Lehrbuch für den interessierten Amateur, der unterhaltsam überwiegend strategisches, aber auch taktisches Schachwissen vermittelt bekommen möchte und ein Rating bis ca. 1600, vielleicht auch 1800, hat, ist das Buch ein ordentlicher Griff.

Dennis Calder

Fide Instructor